Löhne versus Gewinne

Die folgende Abb. 1.1 zeigt die realen, also preisbereinigten
Volkseinkommen, Arbeitsentgelte und Unternehmens- und Vermögenseinkommen
von 2000 bis 2015:

  • Das Volkseinkommen ist von 2000 bis 2010 um rund 8% gewachsen.
  • Die Arbeitnehmer profitierten vom Wachstum nicht, ihre Nettolöhne
    sind – preisbereinigt – genauso hoch wie in 2000 und sollen bis 2015
    trotz eines prognostizierten weiteren Wirtschaftswachstums nur um rund
    5% steigen.
  • Von 2000 bis 2010 bekamen den gesamten Zuwachs Unternehmens- &
    Vermögenseinkommen, die – trotz des vorübergehenden Rückgangs in 2008
    und 2009 – um über 40% gestiegen sind und laut Prognose bis 2015 um
    weitere 22% steigen werden.

1.1

Arbeitsentgelte versus Unternehmens- & Vermögenseinkommen 2000-2015

Wer bezahlt in Deutschland Steuern und Abgaben?

Das deutsche Steueraufkommen betrug 2010 insgesamt rund 566 Mrd. €,
davon etwa je hälftig einkommen- und verbrauchsbezogene Steuern.
Vermögensbezogene Steuern waren mit einem Anteil von nur 4% unbedeutend.

Deutschland lag 2009 mit einem Steueraufkommen von 24,0% des
Bruttosozialprodukts etwas unter dem Durchschnitt der EU27 von 25,6%,
unter Berücksichtigung der Sozialabgaben mit 39,7% geringfügig über dem
Durchschnitt der EU27 von 38,4%. Verglichen mit dem Durchschnitt der
EU27 sind die Steuern also etwas niedriger, die Sozialabgaben etwas
höher.

Die folgende Abb. 1.2 zeigt die tatsächlich bezahlte Steuer- &
Sozialabgabenbelastung von Arbeitsentgelten (Produktionsfaktor Arbeit)
und Unternehmens- & Vermögenseinkommen (Produktionsfaktor Kapital).

1.2

Tatsächlich bezahlte Belastung durch direkte Steuern & Sozialabgaben 1970-2015

Der historische Vergleich zeigt die schrittweise durchgesetzte Verschiebung zu Ungunsten der Lohnempfänger:

  • Um 1970 betrug in Deutschland die tatsächlich bezahlte Steuer- und
    Sozialabgabenbelastung von Arbeitsentgelten nur rund 35%, geringfügig
    mehr als die tatsächlich bezahlte Belastung von Unternehmens- und
    Vermögenseinkommen mit rund 30%.
  • Bis 1990 wurde die Belastung von Arbeitsentgelten schrittweise auf
    gut 40% erhöht, bis 2000 auf gut 45% und blieb bis 2010 bei gut 45%.
  • Die Belastung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen wurde bis
    1980 auf gut 35% erhöht, wurde dann, stark fluktuierend, abgesenkt,
    erreichte durch die anfänglichen Maßnahmen der rot-grünen
    Bundesregierung unter Finanzminister Lafontaine in 2000 noch einmal fast
    30% und betrug 2010 nur noch gut 20%. Sie liegt deutlich unter dem
    EU27-Durchschnitt und ist weit niedriger als in anderen größeren
    EU-Staaten (z.B. Italien und UK 39%, Frankreich 36%, Spanien und
    Österreich 27%).

Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer

In Deutschland gibt es derzeit drei einkommenbezogene Steuerarten:

  • Einkommensteuer,
  • Körperschaftsteuer,
  • Gewerbesteuer.

Die folgende Abb. 2.1 zeigt in Teil A die tatsächlich bezahlte
Belastung von Arbeitsentgelten; sie resultiert jeweils etwa zu einem
Drittel aus Lohnsteuer und den Sozialabgaben von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern. Teil B zeigt die Belastung von Unternehmens- und
Vermögenseinkommen; ihre sehr niedrige Belastung ist wesentlich bedingt
durch die – auch im internationalen Vergleich – sehr niedrige Belastung
von nur rund 3% durch vermögensbezogene Steuern wie Vermögensteuer,
Grund- und Grunderwerbsteuer sowie Erbschaft- und Schenkungsteuer.

2.1

Tatsächlich bezahlte Belastung von Arbeitsentgelten und von Unterneh-mens- & Vermögenseinkommen 1970-2015

Ergebnis: Die tatsächlich bezahlte Belastung von
Arbeitsentgelten war 2010 mit rund 45% hoch, auf Unternehmens- und
Vermögenseinkommen hingegen war sie – auch im internationalen Vergleich –
sehr niedrig.

Erforderliche Maßnahmen bei der einkommensbezogenen Besteuerung

(1) Derzeit bleiben erhebliche Teile von in Deutschland erworbenen
Einkommen dauerhaft in Deutschland unbesteuert. Insbesondere können in
Deutschland erwirtschaftete Kapitalentgelte für Kredite (Schuldzinsen)
und für Patente und Namenslizenzen (Lizenzgebühren) unbesteuert in
Steueroasen fließen. Eine Bekämpfung von Steuervermeidung und
Steuerflucht ist kurzfristig und EU-konform durch rein nationale
Maßnahmen möglich.

Erforderliche Maßnahmen sind die Besteuerung der
gesamten im Inland erwirtschafteten Kapitalentgelte, also wie bisher
Gewinne, zukünftig auch geleistete Schuldzinsen und Lizenzgebühren, die
dann nicht mehr unbesteuert in Steueroasen fließen können:

  • Besteuerung nicht nur beim Empfänger, sondern auch an der Quelle, also beim Betrieb.
  • Besteuerung unabhängig vom in- oder ausländischen Sitz des Kapitaleigentümers.

(2) Derzeit können in Deutschland Aufwendungen steuerlich geltend
gemacht werden, auch wenn die resultierenden Erträge in Deutschland
steuerfrei sind. Das Resultat sind massive deutsche Steuerverluste und
es belohnt zudem den Abbau von deutschen Arbeitsplätzen und ihre
Verlagerung in Niedriglohnländer.

Erforderliche Maßnahme ist die Abschaffung von steuerlichen Abzügen von Aufwendungen, soweit resultierende Erträge steuerfrei sind.

(3) Durch die derzeit mögliche Verrechnung von Gewinnen und Verlusten
zwischen gesellschaftsrechtlich unabhängigen Unternehmen eines Konzerns
ist deren Steuerbelastung viel niedriger als die eines vergleichbaren
Einzelunternehmens.

Erforderliche Maßnahme ist die Verlustverrechnung
zwischen verbundenen Konzerngesellschaften (´steuerliche Organschaft´)
aufheben, und zwar sowohl bei der Körperschaftssteuer wie bei der
Gewerbesteuer.

(4) Derzeit können Unternehmen Verluste aus früheren Jahren zeitlich
unbegrenzt vortragen. Allein bei der Körperschaftssteuer betrugen in
2006 die Verlustvorträge 576 Mrd. €, über fünfmal so viel wie der
körperschaftssteuerpflichtige Gesamtbetrag der Einkünfte aller
Unternehmen von rund 104 Mrd. €.

Erforderliche Maßnahme ist die Beschränkung der Verrechnung von Verlusten aus früheren Jahren.

(5) Derzeit bleiben Wertsteigerungen vielfach unbesteuert. Die
dadurch gebildeten unbesteuerten Vermögenswerte (´stille Reserven´) sind
eine vom Gesetzgeber geförderte Möglichkeit zur legalen
Steuervermeidung und der Hauptgrund für die Komplexität der deutschen
Unternehmensbesteuerung.

Erforderliche Maßnahme ist die Verringerung der
dauerhaft unbesteuerten Vermögenserträge durch schrittweise Annäherung
der Buchwerte an die Verkehrswerte.

(6) Die Gewerbesteuer dient zur Finanzierung der kommunalen
Infrastrukturaufwendungen, die bei der tatsächlichen Sitzgemeinde jedes
einzelnen Betriebes anfallen. Die Gewerbesteuer muss deshalb dort
erhoben werden, wo der Betrieb seine Kapitalentgelte tatsächlich
erwirtschaftet.

Erforderliche Maßnahmen sind:

  • Deutlich höheren Anteil der geleisteten Schuldzinsen und Lizenzgebühren der Gewerbesteuer unterwerfen.
  • Keine Verlustverrechnung zwischen einzelnen Betriebsstätten.

(7) Private Kapitaleinkünfte brauchen vom Steuerpflichtigen nicht
mehr in der Steuererklärung angegeben werden, vielmehr wird die
Abgeltungssteuer von 25% ohne Namensnennung des Steuerpflichtigen von
der zuständigen Bank an den Fiskus abgeführt. Der Fiskus hat damit
keinerlei Informationen mehr über die tatsächlichen Kapitalerträge der
einzelnen Steuerpflichtigen.

Erforderliche Maßnahmen sind:

  • Angabe aller Einkünfte aus Kapitalvermögen in der Einkommensteuererklärung.
  • Versteuerung dieser Einkünfte nicht mehr pauschal mit 25%, sondern nach dem persönlichen Einkommensteuersatz.

(8) Derzeit bestehen massive Anreize für Steuerverwaltung und
Gerichte, dem Steuerbetrüger bei einem Geständnis eine Bewährungsstrafe
zuzusichern. Dies schädigt die allgemeine Steuermoral und verringert den
Anreiz für Selbstanzeigen.

Erforderliche Maßnahme ist den Steuerbetrug über 1 Mio. € zwingend mit einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung zu ahnden.

Reform der Vermögen-, Grund- und Erbschaftsteuer

In Deutschland gibt es derzeit vier vermögensbezogene Steuerarten:

  • Vermögensteuer (Erhebung ist seit 1997 ausgesetzt),
  • Grundsteuer,
  • Grunderwerbsteuer,
  • Erbschaftsteuer.

Das Nettovermögen beträgt in Deutschland durchschnittlich gut 100.000 € pro Person, ist allerdings sehr ungleich verteilt:

  • Das reichste Zehntel der Bevölkerung besitzt rund sechs Zehntel des Vermögens.
  • Die folgenden zwei Zehntel der Bevölkerung besitzen drei Zehntel des Vermögens.
  • Die folgenden zwei Zehntel der Bevölkerung besitzen ein Zehntel des Vermögens.
  • Die verbleibende Hälfte der Bevölkerung hat keinerlei Vermögen oder sogar netto Schulden.

Vermögenssteuer

Die Abbildung zeigt die tatsächlich bezahlte Belastung von
Unternehmens- und Vermögenseinkommen durch vermögensbezogene Steuern wie
Vermögenssteuer, Grund- und Grunderwerbsteuer sowie Erbschaft- und
Schenkungssteuer. Sie wurde seit 1970 von knapp 5% auf rund 3%
abgesenkt, insbesondere durch die Außerkraftsetzung der Vermögensteuer
im Jahr 1997.

3.1

Tatsächlich bezahlte Belastung von Unternehmens- & Vermögensein-kommen durch vermögensbezogene Steuern

Erforderliche Maßnahmen bei der vermögensbezogenen Besteuerung

(1) Eine maßvolle Besteuerung der erzielbaren Erträge von korrekt zu
Marktpreisen bewerteten Vermögen wurde vom Bundesverfassungsgericht
bereits 1995 ausdrücklich für zulässig erklärt, doch bis heute nicht
durch entsprechende Gesetzgebung in Kraft gesetzt.

Erforderliche Maßnahmen sind:

  • Vermögenssteuer auf alle größeren Vermögen erheben, und zwar auf deren Verkehrswerte.
  • Einführung einer Bundesimmobiliensteuer als Teil einer allgemeinen Vermögenssteuer.

(2) Die Grundsteuererhebung erfolgt weiterhin auf der Grundlage der
zuletzt 1964 bestimmten Einheitswerte. Im klaren Widerspruch zur
grundsätzlich geltenden Rechtslage hat der Gesetzgeber (ähnlich wie bei
der Vermögenssteuer) geltendes Recht außer Kraft gesetzt und eine
Aktualisierung der Einheitswerte seit 1964 verhindert.

Erforderliche Maßnahme ist die Erhebung einer kommunalen Grundsteuer auf Verkehrswerte.

(3) Die Erbschaft- und Schenkungssteuer wird zwar seit 2009 auf
Verkehrswerte erhoben, allerdings wurden alle als Betriebsvermögen
deklarierbaren Vermögenswerte ganz oder überwiegend von einer
Besteuerung freigestellt.

Erforderliche Maßnahme ist die Erhebung der Erbschaftssteuer auf alle größeren Erbschaften ohne Ausnahmen.

(4) Eine Finanztransaktionssteuer könnte die Instabilität von
Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen mildern und hat ein sehr
hohes Ertragspotenzial.

Erforderliche Maßnahme ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

Offene Fragen und erforderliche Untersuchungen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat im Juli 2011 die zentralen
Forderungen zur Steuerpolitik programmatisch beschrieben: „Statt
Steuersenkungen braucht Deutschland Steuergerechtigkeit. Vermögende,
Unternehmen, Erben und hohe Einkommen müssen wieder stärker zur
Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden.“

Die steuerrechtlichen Ursachen für diese Missstände wurden für die
wichtigsten Steuerarten dargestellt. Dort wurden auch jeweils
Reformziele formuliert und Vorschläge für entsprechende Reformmaßnahmen
vorgelegt.

Vor ihrer Durchführung müssen die vorgeschlagenen Reformmaßnahmen
unter Berücksichtigung alternativer Vorschläge in mehrfacher Hinsicht
genauer untersucht werden.