Erbschaftsteuer – eine Frage der Gerechtigkeit

 

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Es wird vererbt. Und zwar so viel wie nie zuvor. Nach Berechnungen des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) werden in Deutschland in
diesem Jahr Vermögen im Wert von mehr als 240 Milliarden Euro an die nächste
Generation weitergegeben. Allein Immobilien werden doppelt so viele vererbt
oder überschrieben wie früher. Von diesen gigantischen Vermögensübergängen
profitiert der Staat nur sehr begrenzt. Durch die jetzige Ausgestaltung der
Erbschaftsteuer kann sich ein Großteil der reichen und sehr reichen Erben
vor der Steuer drücken.

„Das sind keine bösen Leute.“

Insgesamt haben die Bundesländer über die Erbschaftsteuer, die derjenige
bezahlen muss, der etwas erbt oder geschenkt bekommt, im Jahr 2011 gerade
einmal vier Milliarden Euro eingenommen. Gemessen an einer Gesamterbsumme
von 240 Milliarden liegt der Anteil der Steuer damit bei 1,6 Prozent. „Das
liegt an den bewusst vom Gesetzgeber geschaffenen Schlupflöchern“, regt sich
Professor Lorenz Jarass auf, Finanzwissenschaftler an der Universität
Wiesbaden und einer der profiliertesten Verfechter einer höheren Belastung
von Vermögen. „Das sind ja keine bösen Leute, die sich die Steuer sparen,
sondern sie nehmen das in Anspruch, was der Gesetzgeber ihnen ermöglicht.“

Aus Privatvermögen wird Betriebsvermögen – steuerfrei

Die meisten Einzelerbschaften werden in Deutschland durch Freibeträge
steuerfrei gestellt: 500.000 Euro für den Ehepartner, 400.000 Euro für jedes
Kind plus selbstgenutztes Wohneigentum können ohne Steuer geerbt werden. Das
impliziert, dass die großen Vermögen über diesen Freibeträgen
steuerpflichtig sind. Tatsächlich gibt es aber eine grundsätzliche
Unterscheidung von Vermögenswerten, die dazu führt, dass Reichtum in
Deutschland ganz ohne Beteiligung des Staates weitergegeben werden kann:
Betriebsvermögen wird im Gesetz von 2009 besonders geschont.

Gerechtfertigt wird das von Parteien aller politischen Richtungen damit,
dass Familienunternehmen im Erbfall einfacher an den Sohn oder die Tochter
weiter gereicht werden soll, vor allem, damit die Arbeitsplätze erhalten
bleiben. „Es ist aber nicht ein Fall bekannt, in dem ein Unternehmen durch
die Erbschaftsteuer tatsächlich in seiner Existenz gefährdet gewesen wäre.
Die Verschonung wäre also gar nicht in so großem Maße nötig für die
Unternehmen“, sagt Professor Jarass. „Statt dessen hat die Unterscheidung
zwischen ‚Privatvermögen = erbschaftsteuerpflichtig‘ und ‚Betriebsvermögen =
erbschaftsteuerfrei‘ nur dazu geführt, dass immer mehr Privatvermögen
offiziell in Firmenvermögen umgewandelt wird, nur um die Steuer zu sparen.“
Das geschieht z.B. bei Immobilienvermögen häufig. Es geht aber auch mit
Bargeld. Auch das kann, quasi als Cash GmbH, in eine Firma eingelegt werden.
Hält der Erbe die Firma dann einige Jahre, hat er das Vermögen danach
steuerfrei geerbt.

Anwälte sprechen von einer Dummensteuer

Darüber hinaus gibt es noch viele andere Möglichkeiten, die Erbschaftsteuer
zu umgehen: Wegzug in die Schweiz, Familienstiftung gründen, bis hin zur
Adoption, um dann als Kind unter den Freibetrag zu fallen. Die
„Gestaltungsfreiräume“ sind so zahlreich, dass Anwälte von einer
„Dummensteuer“ sprechen, die nur der zahlt, der sich nicht rechtzeitig um
eine Lösung kümmert.

Das halten inzwischen auch die deutschen Gerichte für einen nicht
hinnehmbaren Zustand. Der Bundesfinanzhof hat im Oktober 2012 die
Erbschaftsteuer an das Bundesverfassungsgericht verwiesen, weil die Richter
der Meinung sind, das Gesetz werde dem Gleichheitsgrundsatz nicht gerecht.
Die Chancen sind groß, dass die Erbschaftsteuer in diesem oder im kommenden
Jahr in Karlsruhe gekippt wird.

Einnahmen aus der Erbschaftsteuer drohen wegzufallen

„Das dürfte dann das Ende der Erbschaftsteuer sein“, befürchtet Professor
Jarass, „denn dann müsste der Gesetzgeber, also Bundestag und  Bundesrat,
sich auf ein neues Gesetz einigen.“ Das ist nicht in Sicht, schon dem
Schließen der krassesten Schlupflöcher haben die Koalitionsfraktionen in
Berlin aktuell im Dezember nicht zugestimmt.

Statt mehr einzunehmen, indem der Staat die vielen Ausnahmen abschafft,
könnten also auch noch die vier Milliarden wegfallen, die die Bundesländer
im Moment einnehmen. „Das Geld würde den Bundesländer massiv fehlen“, sagt
Professor Jarass, „und diese Mindereinnahmen müssten letztlich von allen
anderen, die nichts erben, wieder durch höhere Abgaben ausgeglichen werden.“

Schon heute stammen in Deutschland aber 62 Prozent aller Einnahmen aus
Steuern und Abgaben auf Arbeit und Verdienst. Nur zwei Prozent kommen aus
bestehenden Vermögen. Beim Erben gilt das Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem
wird gegeben.

Bericht: Arne Hell