hr-online, 16.07.2015

 

 

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Steuerparadies Eschborn

„Hessisches Luxemburg“ zieht Trickser an

 

 

Das kleine Eschborn bei Frankfurt ist mit Abstand der Gewerbesteuer-Krösus in Hessen. Nach Recherchen von hr-iNFO verdankt sich dieser Reichtum auch fragwürdigen Praktiken: Nicht jede Firma mit Sitz in Eschborn arbeitet dort.

 
Von Tobias Lübben (hr-iNFO)
 

Das kleine Eschborn ist die wohl geschäftstüchtigste Stadt in Hessen: Über 2.600 Unternehmen sind dort ansässig. Der niedrige Gewerbesteuer-Hebesatz und die verkehrsgünstige Lage machen das 20.000-Einwohner-Städtchen so attraktiv. Mit der günstigen Steuer lockt Eschborn auch Unternehmen aus dem benachbarten Frankfurt an – zum Beispiel die Deutsche Börse. Die zog vor fünf Jahren nach Eschborn und baute sich ein glitzerndes, würfelförmiges Bürohaus namens „The Cube“.

 

Doch nicht alle Unternehmen, die in Eschborn gemeldet sind, sind dort wirklich dauerhaft mit Mitarbeitern präsent. Wie hr-iNFO-Recherchen zeigen, sind manche Unternehmer nur Gelegenheitsgäste in Eschborn – offenbar, um Gewerbesteuer zu sparen. Tatsächlich arbeiten diese Unternehmer vorrangig woanders – etwa im benachbarten Frankfurt. Frankfurt entgehen so jährlich Millionen Euro an Gewerbesteuer.

 

Stippvisiten in Eschborn lohnen sich

Ein Beispiel sind die millionenschweren Immobilien-Fonds einer Frankfurter Investment-Firma. Die Fondsgesellschaften sind alle in Eschborn gemeldet, aber die Geschäftsführer arbeiten meist in einer Villa in Frankfurt-Sachsenhausen. Als hr-iNFO unangemeldet in der Villa auftaucht, erklärt der Chef der Investment-Firma das System. Er will aber nicht namentlich genannt werden. Steuersachen seien immer so heikel, sagt er.

 

 

Gewerbesteuer

 

Die
Gewerbesteuer wird auf Firmenerträge erhoben und ist die wichtigste
eigene Einnahmequelle von Kommunen. Zur Berechnung wird für jedes
Unternehmen ein Steuermessbetrag (Gewerbeertrag minus Freibetrag,
multipliziert mit Steuermesszahl 3,5%) ermittelt, der wiederum mit dem
Hebesatz multipliziert wird. Den Hebesatz legen die Gemeinden selbst
fest. In Frankfurt beträgt er 460 Punkte, in Wiesbaden, Offenbach und
Kassel 440, in Obertshausen (Offenbach) 335, in Eschborn (Main-Taunus)
280, in Beselich (Limburg-Weilburg) 275. Um Gewerbesteueroasen zu
vermeiden, darf der Hebesatz nicht unter 200 Punkten liegen. Quellen: Wikipedia, Finanzministerium

 

Gleich zu Beginn räumt der Chef ein: Die Fonds seien in Eschborn gemeldet, um Gewerbesteuer zu sparen. Tatsächlich verwaltet würden die Fonds in Frankfurt. Steuerlich sei das sauber. Denn die Verwaltung der Fonds werde als Dienstleistung einer anderen Firma verbucht. Die Fondsgesellschaft in Eschborn habe nominell gar keine Beschäftigten, sondern bestehe nur aus den Geschäftsführern. Und die kämen tatsächlich hin und wieder zu Meetings in Eschborn zusammen, betont der Firmen-Chef. Damit sei alles legal.

 

Ganz ähnlich macht es ein bekannter Manager mit Büro im Frankfurter Westend. Der hat in Eschborn eine Beteiligungsgesellschaft gemeldet. Bilanzsumme laut Geschäftsbericht: 500 Millionen Euro. Auf Nachfrage erklärt sein Pressesprecher, es handele sich um ein „kleines Familienunternehmen“, das ohne ständige Belegschaft auskomme. Der Gewinn wird im Geschäftsbericht mit über elf Millionen Euro ausgewiesen. Für die Gewerbesteuer heißt das: In Eschborn zahlt das Unternehmen rund 500.000 Euro weniger, als es in Frankfurt zahlen müsste. Die gelegentlichen Fahrten nach Eschborn lohnen sich also für den Frankfurter Manager.

 

Leere oder sogar virtuelle Büros

Noch krasser ist der Fall einer weltweit operierenden Hotelkette. Sie betreibt Appartement-Hotels in Frankfurt, München, Hamburg und Berlin. Geschäftssitz ist aber ein kleines Mehrfamilienhaus in Eschborn. Auf dem Briefkasten eines Anwalts ist dort klein der Firmenname zu lesen. Vertreter der Hotelkette waren aber bei einem Besuch vor Ort nicht anzutreffen. Nach Angaben der Firma werden die Räume „nur sehr eingeschränkt genutzt“.

Fakt ist: Wer in Eschborn statt in Frankfurt Gewerbesteuer zahlt, kommt um rund 40 Prozent günstiger weg. Mit diesem Standortvorteil werben in Eschborn auch Anbieter von „virtuellen Büros“. Sie bieten ihren Kunden eine Adresse sowie Telefon- und Fax-Anschluss in Eschborn an. Service-Kräfte nehmen dann die Anrufe an und leiten sie gegebenenfalls an den tatsächlichen Arbeitsplatz des Unternehmers weiter. So entsteht der Eindruck, das Unternehmen sei ständig in Eschborn erreichbar. Ein Modell, das auch für Steuer-Sparer attraktiv ist.

 

Eschborn - Gewerbesteuer pro Kopf

 

Fall für die Steuerfahndung

In Eschborn Gewerbesteuer zahlen, aber nur gelegentlich oder gar nicht dort auftauchen – Michael Volz hält gar nichts von solchen Praktiken. Volz ist der hessische Landesvorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft. Ob die Praktiken noch am Rande der Legalität seien oder sie überschritten, könne er nicht beurteilen, sagt er. Auf jeden Fall widerspreche das Modell dem gesunden Menschenverstand: „Da würde ich mir schon wünschen, dass man da gesetzgeberisch eine Lücke schließt oder gegebenenfalls auch die Steuerfahndung das mal vor Ort unter die Lupe nimmt.“

 

Der Wiesbadener Steuerrechtsprofessor Lorenz Jarass vergleicht die Praktiken mit der Steueroase Luxemburg: Viele Konzerne gründen in Luxemburg Kapitalverwaltungsgesellschaften, um dort in den Genuss einer günstigen Besteuerung zu kommen und den deutschen Fiskus zu umgehen. Eine rechtliche Grauzone, die derzeit die Europa-Politik beschäftigt.

 

Der Eschborner Bürgermeister Mathias Geiger (FDP) sagt, von „virtuellen Büros“ in seiner Stadt habe er noch nie etwas gehört. „Das überrascht mich. Ich bin davon ausgegangen, dass jede Firma, jedes Unternehmen, das hier gemeldet ist, auch tatsächlich hier arbeitet, tätig ist“, sagt er. Er wolle den Hinweisen aber nachgehen. Allerdings wolle er keine Unternehmer aus Eschborn vergraulen. Die Stadt soll für Unternehmer attraktiv bleiben, auch steuerlich.

 

Land will Steuer-Dumping unterbinden

Uwe Becker sieht das naturgemäß anders. Er ist der Stadtkämmerer von Frankfurt. Dass Gewerbesteuerzahler ins benachbarte Eschborn abwandern, kann ihm nicht gefallen: „Da, wo das Engagement stattfindet, sollte auch der Beitrag zur Infrastruktur geleistet werden.“ Die hier geschilderten Fälle will er allerdings nicht beurteilen. Denn er hat die Erfahrung gemacht: Nicht alles, was dem gesunden Menschenverstand widerspricht, ist auch steuerrechtlich zu fassen.

 

Deshalb fordert Becker genau wie Gewerkschafter Volz eine rechtliche Klarstellung: „Wenn es da Schlupflöcher gibt, bin ich auch dafür, dass man da nachsteuert.“

Damit liegt der Ball im Feld von Bundes- und Landesregierung. Vom hessischen Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) weiß man, dass er kein Freund des Eschborner „Steuerdumpings“ ist, wie er es nennt. Er will bei der anstehenden Reform des Kommunalen Finanzausgleichs (KFA) Eschborn zu einer Steuererhöhung bringen. Direkte Handhabe hat der Finanzminister nicht, aber er hat eine geringere Mittelzuweisung aus dem KFA angekündigt. Dagegen haben Eschborn und andere Kommunen mit niedriger Gewerbesteuer bereits Widerstand angekündigt. Denn es lebt sich nicht schlecht als „hessisches Luxemburg“.