Das Gezerre um das geplante Kohlekraftwerk auf der Ingelheimer Aue hat kein Ende. Die Gegner halten es unter anderem für eine Umweltsünde wegen der CO2-Emissionen, die Befürworter sehen zu dem geplanten Kohlekraftwerk, das rund 1,2 Milliarden Euro kosten soll, keine Alternative. Lorenz Jarass, Professor im Fachbereich Informatik an der FH Wiesbaden, ist kein Gegner von Kohleenergie, hält das geplante Kraftwerk aber für einen Fehler.
Herr Jarass, brauchen wir ein weiteres Kohlekraftwerk in Deutschland und muss es ausgerechnet auf der Ingelheimer Aue stehen?
Das geplante Grundlastkohlekraftwerk ist schwer regelbar und hat hohe Investitionskosten. Für die zukünftige Stromversorgung in Deutschland brauchen wir aber für den Ausgleich der stark schwankenden erneuerbaren Energien gut regelbare Reservekraftwerke mit niedrigen Investitionskosten.
Die Befürworter argumentieren, dass die Energie, die dort erzeugt wird, auch gebraucht wird, stimmt das?
Die Bundesregierung hat – einvernehmlich mit der Opposition – den weiteren massiven Ausbau der erneuerbaren Energien beschlossen. Schon in den nächsten Jahren werden wir deshalb in Deutschland immer häufiger bei Starkwindlagen einen Stromüberschuss haben. Der im geplanten Kohlekraftwerk erzeugte Strom könnte dann immer seltener verbraucht werden, weil die erneuerbaren Energien bevorzugt abgenommen werden müssen.
Ist Kohleenergie noch wirtschaftlich?
Das geplante Grundlastkohlekraftwerk kann nur wirtschaftlich betrieben werden, wenn es das ganze Jahr über mit voller Leistung betrieben werden kann.
Glauben Sie, dass es gelingt, das KMW-Kohlekraftwerk auszulasten?
Die gesamte deutsche Stromnachfrage beträgt minimal 40 Gigawatt und maximal 80 Gigawatt. Bereits heute sind in Deutschland über 30 Gigawatt (GW) erneuerbare Energien installiert, bis 2020 werden es laut Planungen der Bundesregierung über 70 GW sein, bis 2030 über 100 GW. Deshalb wird es zukünftig immer häufiger vorkommen, dass die erneuerbaren Energien die gesamte Stromnachfrage abdecken und herkömmliche fossile Kraftwerke nicht mehr einspeisen können.
Was passiert, wenn das Kraftwerk nicht ausgelastet ist?
Wenn die Auslastung sinkt, müssen Zins und Tilgung auf weniger Kilowattstunden umgelegt werden. Zudem fallen erhebliche Zusatzkosten für das dauernde Rauf- und Runterfahren des Kraftwerks an. Im Ergebnis steigen damit die Produktionskosten deutlich an, ein Verkauf an der Strombörse wäre dann nur mit Verlusten möglich. Dies befürchtet offensichtlich auch KMW und verlangt deshalb von den Stadtwerken erhebliche Mindestabnahmen. Die Stadtwerke müssten dann die Strompreise erhöhen, die Kunden würden dann verstärkt den Stromanbieter wechseln.
Was wären die weiteren Folgen?
Das könnte zu einem finanziellen Fiasko nicht nur für KMW, sondern auch für die beteiligten Stadtwerke in Wiesbaden (Eswe) und Mainz führen. Die Stadtwerke sollen ja zudem für das Kraftwerk mit Bürgschaften haften, weil die Banken nur dann Kredit geben wollen. Der gut gemeinte Kraftwerksbau wäre dann das Ende einer eigenen kommunalen Stromerzeugung und wahrscheinlich auch das Ende eigener Stadtwerke. Letztlich zahlt dann der Steuerzahler die Verluste, wie das Beispiel der Mainzer Wohnbau zeigt.