Ein reichhaltiges Revier Anglo-amerikanische Firmenjäger machen in Deutschland Beute – auf Kosten der Steuerzahler und Beschäftigten
VON MARIO MÜLLER
Den „Grünen Punkt“ kennt jeder. Auch die Marken Grohe oder Gardena dürften vielen Bundesbürgern vertraut klingen. Aber wie sieht es mit KKR aus? Mit Texas Pacific Group oder Blackstone?
Nie gehört? Nein, in Schotts Sammelsurium des nutzlosen Wissens sucht man vergeblich. Die Namen wären dort auch fehl am Platz. Denn man sollte sie sich merken. Schließlich stehen sie für eine Gruppe von Firmen, an denen sich die Geister scheiden. Für die einen sind sie die lang ersehnten Ruck-Aktivisten, die die verkrustete deutsche Wirtschaft auf Vordermann bringen. Andere sehen in ihnen die Exponenten einer besonders perfiden und zerstörerischen Abart des Kapitalismus.
Es geht, was sonst, um Geld, um viel Geld. In diesem Fall erscheint es unter der englischen Bezeichnung „Private Equity“, was übersetzt so viel heißt wie Privates (Eigen-)Kapital. Mit seiner Hilfe kaufen KKR, Texas Pacific und andere illustre Vertreter der Branche weltweit Firmen auf. Hier zu Lande zum Beispiel den Abfallsammler Duales System Deutschland (DSD – Der Grüne Punkt), Grohe, einen Hersteller von Badarmaturen, oder die Gartengeräte-Firma Gardena. Die milliardenschweren Investoren sind allerdings weniger an Müll oder Wasserhähnen interessiert. Sie wollen Kasse machen, und zwar nicht zu knapp sowie möglichst schnell. Was bedeutet, dass sie die übernommenen Firmen schon nach kurzer Zeit mit hohem Gewinn abzustoßen versuchen. Um dieses Ziel zu erreichen, gehen sie alles andere als zimperlich vor.
Norbert Mayer, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Tenovis, kann davon ein Lied singen. Das Frankfurter Unternehmen, ein Telefonanlagenbauer, hieß einst Telenorma und gehörte dem Elektrokonzern Bosch. Als der vor fünf Jahren seinen Ableger für 400 Millionen Dollar an die US-Beteiligungsgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co, kurz KKR, verkaufte, war das für Mayer ein regelrechter „Kulturschock“. Was nicht nur daran lag, dass der neue Boss, Peter Záboji, glaubte, mit einem Roller durch die Flure der Frankfurter Zentrale preschen zu müssen. Der ehemalige Siemens-Manager, nach eigener Angabe ein „richtiger Stinkstiefel“, gefiel sich auch sonst in der Rolle des Auf- und Abräumers. Der alte Vorstand wurde kurzerhand vor die Tür gesetzt, das Unternehmen völlig umgekrempelt. 2400 der einst 9000 Arbeitsplätze blieben auf der Strecke.
Unter Zábojis Nachfolger David Winn gings munter weiter mit dem Kahlschlag. Wieder wurden Stellen gekappt oder die um ihre Jobs bangenden Beschäftigten zu Lohnverzicht verdonnert. Es herrschte, sagt Mayer, „Kapitalismus pur“. Ein trickreicher dazu. Denn KKR gründete auf der britischen Kanalinsel Jersey eine Finanzgesellschaft, bei der Tenovis einen Kredit in Höhe von 300 Millionen Euro aufnahm. Hintergrund der konzerninternen Verschiebeaktion: Die Zinszahlungen schmälern den Gewinn der Frankfurter und damit deren Verpflichtungen gegenüber dem hiesigen Finanzamt, während die Zinseinnahmen im Steuerparadies Jersey von Abgaben an den Staat weitgehend verschont sind. Für die Investoren rechnet sich das allemal: Die übernommene Firma finanziert den Kaufpreis quasi selbst – auf Kosten auch der deutschen Steuerzahler. Inzwischen hat Tenovis übrigens einen neuen Eigentümer. KKR verkaufte das Unternehmen, das zuletzt noch rund 4300 Beschäftigte zählte, im Oktober 2004 für 370 Millionen Dollar an den US-Telekommunikationskonzern Avaya. Und Tenovis ist kein Einzelfall.
Nach ähnlichem Strickmuster verfuhr KKR mit dem Kranhersteller Demag. Das traditionsreiche Unternehmen aus Wetter an der Ruhr war nach der Zerschlagung des Mannesmann-Konzerns zunächst vom Elektromulti Siemens übernommen worden, der es schon zwei Jahre später, 2002, zusammen mit sechs anderen Firmen für 1,7 Milliarden Euro an die US-Boys weiterreichte. Die machten, mit Hilfe eilfertiger Unternehmensberater, kurzen Prozess. Arbeitsplätze wurden zuhauf abgebaut, Löhne gedrückt, Teile der Produktion ins Ausland verlagert. Karl-Ludwig Ostermann, ein ehemaliges Betriebsratsmitglied, befürchtet nun die finanzielle „Ausblutung“ des Maschinenbauers. Für den Verdacht spricht eine Meldung der Börsen-Zeitung von Anfang des Jahres, der zufolge KKR knapp eine Milliarde Euro der Demag-Kasse entnommen hat. Rekapitalisierung nennt die Branche beschönigend solche Vorgänge, bei denen die Investoren das Eigenkapital aus dem Kaufobjekt abziehen und durch Kredite ersetzen. Auch hier dürfte es darum gehen, das internationale Steuergefälle auszunutzen. Warum sonst hängt Demag seit der Übernahme durch KKR an einer Holding in Luxemburg?
Tatsächlich locken die Private-Equity-Gesellschaften fette Weidegründe in der Bundesrepublik. Jens Tonn von Candover Partners spricht lieber von einem „reichhaltigen Jagdrevier“. Und die Beute kann sich sehen lassen: Firmen wie MTU oder Siemens Nixdorf, Dynamit Nobel oder Celanese, Rodenstock oder der Fernsehkanal Premiere. Vergangenes Jahr schlugen die Finanziers hier zu Lande bei 85 Unternehmen zu und investierten nach Angaben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young dabei 22,5 Milliarden Euro, zwei Drittel mehr als 2003. Tatsächlich liegt die Summe noch höher, da die Kaufpreise nur bei gut der Hälfte der Transaktionen publik werden. An Geld mangelt es den zumeist anglo-amerikanischen Aufkäufern nicht. Es wird ihnen förmlich hinterher geworfen – von institutionellen Großanlegern wie Pensionsfonds oder superreichen Privatleuten. Sie gieren nach hohen Erträgen und dürfen damit rechnen, dass die Private-Equity-Häuser liefern. Schließlich gelten dort Renditen von 25 Prozent als Standard. Eine derart üppige Verzinsung des eingesetzten Kapitals lässt sich meist nur durch hohe Beigabe von Fremdmitteln erreichen. So werden Übernahmen typischerweise zu zwei Dritteln oder mehr mit Bankdarlehen, also Schulden, finanziert, wobei die derzeit äußerst niedrigen Zinsen und die Freigebigkeit der Kreditinstitute das Geschäft ungemein erleichtern.
Die Firmenübernehmer
Private-Equity-Gesellschaften übernehmen Firmen. Das Ziel: Nach wenigen Jahren mit hohem Gewinn wieder verkaufen. Kapital ( englisch: equity) sammeln sie bei Großanlegern ein, etwa Pensionsfonds. Angepeilte Renditen: 25 Prozent oder mehr. Investitionen überwiegend anglo-amerikanischen Finanzhäuser in der Bundesrepublik in 2004: weit mehr als 20 Milliarden Euro. Teuerstes Objekt: das Chemieunternehmen Celanese, früher Teil des Hoechst-Konzerns, gekauft vom Private-Equity-Riese Blackstone aus USA. Preis: mehr als drei Milliarden Euro. Neuester Trend: Mehrere Investoren schlucken zusammen einen Großkonzern, wie den Spielwarenhändler Toys „R“ Us. mrm
Hier zu Lande sind die Firmenjäger, anders als in den USA und Großbritannien, noch nicht lange auf der Pirsch. Gewissermaßen zur Jagd blies die Bundesregierung, indem sie von 2000 an die Erlöse aus dem Verkauf von Unternehmen steuerfrei stellte. Ziel war es, die „Deutschland AG“, wie das Beteiligungsgeflecht aus Banken, Versicherungen und Industriekonzernen genannt wird, aufzubrechen. Seitdem herrscht ein schwunghafter Handel mit Betrieben, bei dem sich auch die beteiligten Banker, Unternehmensberater und Anwälte goldene Nasen verdienen. Nicht nur sie gewinnen dem Treiben positive Seiten ab. Die Private-Equity-Manager seien keine „Zocker“, sondern „Wertvermehrer“, die einen „wichtigen Beitrag zur Restrukturierung der Deutschland AG“ leisteten, glaubt die FAZ zu wissen, eine Einschätzung, die dem Selbstbild der Branche entspricht.
Das kann man auch anders sehen. Der Autor eines Berichts in der Gewerkschafts-Zeitschrift WSI-Mitteilungen wirft den „Investoren“ vor, die „vorhandene produktive und finanzielle Substanz“ der Beteiligungsgesellschaften auszuzehren und auf „Arbeitsplatzvernichtung und Lohnsenkung“ zu setzen. Dafür spricht, dass immer höhere Preise aufgerufen werden. Kenner warnen vor einer Blase. Dies hat fatale Folgen. Denn üblicherweise machen die Private-Equity-Häuser ihren Reibach, indem sie die Kaufobjekte mit sattem Aufschlag weiter veräußern, am liebsten über die Börse. Da auf diesem Weg derzeit nicht die erwarteten Gewinne zu holen sind, müssen die übernommenen Firmen um so mehr bluten.
Beispielsweise Grohe. Der Armaturen-Hersteller wurde vergangenes Jahr von BC-Partners an Texas Pacific und eine Tochter der Schweizer Großbank Credit Suisse verkauft, ging also von einer Private-Equity-Adresse an die nächste. Man ahnt, was kommt: Die neuen Eigentümer haben ein Umstrukturierungsprogramm angekündigt, mit dem der Abbau von Arbeitsplätzen und die Produktionsverlagerung ins Ausland vorangetrieben werden soll.
Gelegentlich stoßen aber auch die Zwischenhändler an Grenzen. So scheiterte der Versuch des Stahlkonzerns Thyssen-Krupp, eine Tochtergesellschaft an HG Capital zu verkaufen, am Widerstand der Beschäftigten. Die Private-Equity-Firmen lassen sich dadurch kaum aufhalten. Ihre Kassen quellen über. Derzeit ist in der Branche sogar vom Kauf eines Unternehmens aus dem Deutschen Aktienindex Dax die Rede.