Netzentwicklungsplan enthält „Fehleinschätzungen und schwer wiegende methodische Fehler“
Udo Leuschner, Energiechronik Aug. 2012, 120803, http://www.udo-leuschner.de/energie-chronik/chframe.htm,
In einem soeben erschienenen Buch bescheinigen die Autoren Jarass und Obermair dem Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber Fehleinschätzungen und schwerwiegende methodische Fehler.
Die „Energiewende“ allein würde einen solchen Netzausbau keineswegs erfordern. Dies betonten die beiden Wissenschaftler Lorenz Jarass und Gustav Obermair in ihrer Stellungnahme zum Netzentwicklungsplan, dem sie „eine Reihe von Fehleinschätzungen sowie schwer wiegende methodische Fehler“ vorwerfen. Zum einen basierten die Berechnungen – wie auch schon bei der umstrittenen Dena-Netzstudie (101101 <http://www.udo-leuschner.de/energie-chronik/101101.htm> ) – auf der falschen Prämisse, daß jede erzeugbare Kilowattstunde erneuerbarer Energie übertragen werden müsse. Es widerspreche aber dem in § 9 Abs. 3 EEG <http://www.udo-leuschner.de/energie-chronik/energierecht/eeg2012neu.htm#p09> verankerten Gebot der wirtschaftlichen Zumutbarkeit des Netzausbaues, Hunderte von Millionen Euro zu investieren, um auch äußerst selten auftretende Erzeugungsspitzen übertragen zu können, anstatt ein solches kurzfristiges Überangebot einfach abzuregeln. Die beiden Wissenschaftler hegen den Verdacht, daß die im Netzentwicklungsplan formulierte „Verpflichtung zur vollständigen Aufnahme und zum Weitertransport der regenerativ erzeugten Energie“ lediglich ein Vorwand ist, um mehr Netzkapazität für die Produktion und den Export von Strom aus konventionellen Kraftwerken bereitzustellen.
Überdimensionierter Netzausbau bewirkt Quersubventionierung von Stromexporten zu Lasten der Verbraucher
In engem Zusammenhang damit kritisieren Jarass und Obermair den Planungsgrundsatz eines „freizügigen künftigen Marktgeschehens“, der keinerlei Restriktionen für konventionelle Kraftwerke vorsieht, obwohl die erneuerbare Stromproduktion ständig wächst und schon heute häufig höher als die momentane Stromnachfrage ist. Dies widerspreche den Vorgaben der Bundesnetzagentur, wonach der Netzausbau „sowohl volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaftlich effizient sein“ muß und „die Netze in der Energiezukunft nicht zur Abgabe von jeder beliebig nachgefragten Strommenge ausgebaut werden sollten“. Die faktische Einspeisungsgarantie für neue Kohlekraftwerke bewirke eine Überdimensionierung des Netzausbaues, die weit über das hinausgehe, was für die Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Quellen und zur Erhaltung eines notwendigen Restbestands an konventioneller Kraftwerkskapazität erforderlich wäre.
Da die Kosten eines überdimensionierten Netzausbaues über die Netzentgelte in die Strompreise eingehen, bewirke dies eine Quersubventionierung der Exportpreise für elektrische Energie über die Rechnungen der deutschen Stromverbraucher, die einen übermäßigen internationalen Stromhandel zur Folge habe: „Die einzelwirtschaftlichen und die sozialen Kosten dieses überdimensionierten Netzausbaues werden dem inländischen Stromverbraucher aufgebürdet.“
Technische Alternativen zum Neubau von Leitungen werden nicht hinreichend berücksichtigt
Ferner beanstanden die beiden Wissenschaftler die mangelnde Berücksichtigung von technischen Alternativen, die den Neubau von Leitungen erübrigen und die Akzeptanz des Netzumbaues erhöhen würden. So werde die Netzoptimierung mittels Leiterseiltemperaturmonitoring im Netzentwicklungsplan überhaupt nicht erwähnt. Die Netzverstärkung durch Verwendung von Hochtemperaturleiterseilen, die wesentlich stärker belastbar sind als konventionelle Aluminium/Stahl-Leiterseile (120810 <http://www.udo-leuschner.de/energie-chronik/120810.htm>), werde nur bei einer einzigen Maßnahme vorgeschlagen. Das vorgesehene „Startnetz“ basiere im wesentlichen auf der fragwürdigen Dena-Netzstudie, die den Neubaubedarf systematisch überschätzt habe. Es stelle sich zudem die Frage, ob der Neu- und Ausbau von Drehstromleitungen überhaupt noch notwendig werde, wenn es zur Realisierung der geplanten Strecken für „Hochspannungs-Gleichstromübertragung“ HGÜ) kommt. Anstelle der bisher im Netzentwicklungsplan vorgesehenen vier isolierten Punkt-zu-Punkt-Verbindungen sei es jedoch zweckmäßiger und auch unter Berücksichtigung des N-1-Kriteriums technisch durchführbar, die HGÜ-Strecken zu einem „Overlay-Netz“ zu verbinden.
Die beiden Professoren Lorenz Jarass (Hochschule RheinMain Wiesbaden) und Gustav Obermair (Emeritus der Universität Regensburg) befassen sich schwerpunktmäßig mit Finanz- und Steuerpolitik. Seit 1980 haben sie außerdem eine Reihe von Untersuchungen zur Integration der erneuerbaren Energien in die Stromversorgung und zum Netzumbau vorgelegt. Im August veröffentlichten sie ihre Sichtweise der Dinge in dem Buch „Welchen Netzumbau erfordert die Energiewende?“. Neben grundsätzlichen Ausführungen zur Stromversorgung und dem durch die „Energiewende“ notwendig werdenden Netzumbau enthält das Buch im letzten Kapitel auch ihre Bewertung des Netzentwicklungsplans (Manuskriptschluß 15. Juli). Die Darstellung zeugt von großer Sachkenntnis und ist hinzu in allgemeinverständlicher Sprache gehalten, weshalb sie als die derzeit vermutlich beste Einführung in den Problemkreis empfohlen werden kann (MV-Verlag, Münster, ISBN 978-3-86991-641-5, 280 Seiten, 21 Euro).