Das Steuersystem muss gerechter werden
Bayrische Staatszeitung, 05.01.2012
Lorenz Jarass illustrierte in Nürnberg, wie sich seit dem Jahr 2000 die Arbeitsentgelte preisbereinigt im Verhältnis zu Unternehmens- und Vermögenseinkommen entwickelt haben. Angesichts der Fakten, die der Wirtschaftswissenschaftler Lorenz Jarass von der Hochschule RheinMain aus Wiesbaden beim „Talk im Uhrenhaus“ in Nürnberg präsentiert, fragt man sich, wie lange der soziale Frieden hierzulande noch halten wird. Dass die Reallöhne in Deutschland für die Mehrzahl der Erwerbstätigen seit über einem Jahrzehnt stagnieren bzw. leicht rückläufig sind und der Niedriglohnsektor boomt, ist inzwischen Allgemeingut. Doch dass aufsummiert 78 Prozent des Gesamtsteueraufkommens der Bundesrepublik der kleine Mann (Netto-Durchschnittsverdienst im Jahr 33.000 Euro) schultert, ist noch nicht so bekannt.
Steuerreform ist nötig
276 Milliarden Euro betrug das Steueraufkommen in 2010. Davon stammen 172 Milliarden Euro (30 Prozent) aus der Lohnsteuer. 180 Milliarden Euro kommen aus der Umsatzsteuer (32 Prozent). 46 Milliarden Euro (8 Prozent) spülen Energie- und Stromsteuern in die Kassen des Staates. Und 43 Millarden Euro (8 Prozent) zahlen die Bürger an sonstigen indirekten Steuern (u.a. 13 Milliarden Euro Tabaksteuer, 10 Millarden Euro Versicherungssteuer und 8 Milliarden Euro Kraftfahrzeugsteuer). Die von dem Niederbayern Jarass präsentierten Zahlen zeigen außerdem, dass die Arbeitsentgelte hierzulande mit rund 45 Prozent Steuern belastet sind, während der Staat bei Unternehmens- und Vermögenseinkommen nur mit etwa 25 Prozent zuschlägt. Deshalb fordert er eine Reform der deutschen Steuerpolitik. Bei der einkommensbezogenen Besteuerung möchte er, dass der Staat an der Quelle, also in den Betrieben besteuert. Dies soll unabhängig vom in- oder ausländischen Sitz des Kapitaleigentümers geschehen. Somit könnten geleistete Schuldzinsen und Lizenzgebühren nicht mehr unbesteuert in Steueroasen fließen. Die derzeit gültige 30-prozentige Besteuerung von Gewinnen aus Eigenkapital sei hingegen in Ordnung.
Außerdem fordert Jarass, die Verlustverrechnung zwischen verbundenen Konzerngesellschaften, also die so genannte steuerliche Organschaft, aufzuheben. „Und zwar bei der Körperschaftsteuer wie bei der Gewerbesteuer“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Darüber hinaus sollte die Verrechnung von Verlusten aus früheren Jahren stärker beschränkt werden. Auch dauerhaft unbesteuerte Vermögenserträge sollten verringert werden durch die schrittweise Annäherung der Buchwerte an die Verkehrswerte. Und ein deutlich höherer Anteil der geleisteten Schuldzinsen und Lizenzgebühren sollte der Gewerbesteuer unterworfen werden. „Das wichtigste Signal des Staates wäre aber, Steuerbetrug über eine Million Euro zwingend mit einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung zu ahnden“, so Jarass. Er zitiert ein gutes Beispiel aus seiner Heimatstadt Deggendorf, in der kürzlich ein Zahnarzt wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde und jetzt drei Jahre „einsitzen muss“. Selbst in den USA würden Steuerdelikte härter bestraft als in Deutschland. „Wer ein zweites Mal mehr als 10 000 US-Dollar Steuern hinterzieht, der muss zwangsweise eine Gefängnisstrafe absitzen.“
Bei der vermögensbezogenen Besteuerung fordert Jarass, dass eine Vermögensteuer auf alle größeren Vermögen erhoben wird. „Und zwar auf deren Verkehrswerte.“ Er ruft die Bundesregierung auf, eine Bundesimmobiliensteuer als Teil einer allgemeinen Vermögensteuer zu etablieren. Denn laut Bundesbank sind etwa 85 Prozent der deutschen Vermögen Immobilien. „Derzeit zahlt der Villenbesitzer auf seine Immobilie lediglich 0,1 Prozent Grundsteuer. Der Mieter über die Nebenkosten aber 0,5 Prozent“, illustriert der Wirtschaftswissenschaftler. Außerdem sollte die kommunale Grundsteuer auf Verkehrswerte angehoben werden. Und Erbschaftsteuer sollte ausnahmslos auf alle größeren Erbschaften erhoben werden. Und last but not least plädiert Jarass für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.
Balsam für die Zuhörer
All diese Vorschläge waren Balsam für die rund 130 Zuhörer im Uhrenhaus. Sie spendeten dem Wirtschaftsprofessor vor allem dann viel Applaus, als er die Gleichung „Politiker sind Banker“ aufmachte. Während der kleine Mann geschröpft werde, würden die Reichen und Mächtigen seitens der Steuerfahndung geschont. Besonders Bayern und das Saarland seien hierfür bekannt, so Jarass. Er lobte Bayerns Ex-Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU), der einmal bei einer Versammlung von Steuerprofessoren, diese als Steuervermeidungsprofessoren bezeichnete. „Das Problem ist doch eine langfristige Fehlsteuerung hierzulande. Verwaltungsoberinspektoren arbeiten für die internationale Finanzindustrie“, erläutert Jarass. Sein Sohn, der demnächt mit dem Studium fertig werde, habe jetzt „die Wahl zwischen 27.000 Euro Jahresverdienst, wenn er an der Uni bleibt und 120.000 Euro Einstiegsgehalt, wenn er in einem Beratungsunternehmen anfängt.“
(Ralph Schweinfurth)