Das Parlament, Heft 08/2014

 

Wirtschaft Der Stromleitungsbau kommt in Bayern nicht voran. Blockadevorwürfe

 

Ausgerechnet dort, wo sie am nötigsten wäre, verliert die Energiewende an Schwung. In Bayern kommen immer noch 30 Prozent des Stroms aus Kernkraftwerken, die in den nächsten Jahren abgeschaltet und durch erneuerbare Energien ersetzt werden sollen. Doch es hakt überall: Es werden zu wenig Windräder gebaut, und gegen den Bau von Höchstspannungsleitungen, die den Strom aus ertragreichen Windenergiegebieten nach Süden transportieren sollen, gibt es massiven Widerstand. Die Bayerische Staatsregierung will ein Moratorium. Der Leitungsbau solle erst dann weiterbetrieben werden, wenn klar ist, welche Vorgaben sich durch die Novellierung des Erneuerbare Energien-Gesetzes (EEG) ändern würden.

 

„Doppelte Sabotage“

Die bayerische Haltung sorgte am Donnerstag im Bundestag für Aufregung. Die Opposition kritisierte in einer Aktuellen Stunde das Moratorium zum Stromleitungsbau scharf und forderte, den „bayerischen Löwen“ Horst Seehofer (CSU) wieder einzufangen, der frühere Beschlüsse zur Energiewende mitgetragen habe. Die Abgeordnete Julia Verlinden (Grüne) warf dem Ministerpräsidenten Seehofer vor, nicht nur den Stromleitungsbau, sondern durch neue Abstandsregelungen auch den Bau von Windenergieanlagen zu verhindern. „Das ist eine doppelte Sabotage der Energiewende, die wir uns nicht leisten können.“ Seehofers Eskapaden würden der Energiewende in Deutschland und auch der sicheren Energieversorgung in Bayern schaden, sagte Verlinden. Der Netzausbau müsse beschleunigt werden. Er müsse naturverträglich sein und eine transparente Planung haben, die die Menschen einbeziehe. Zur Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz gebe es die Möglichkeit der Erdverkabelung.

 

Die Forderung nach mehr Erdverkabelung stieß auf scharfe Kritik von Michael Fuchs (CDU): Wenn die Grünen Erdverkabelung wollen, „dann sagen Sie bitte gleichzeitig dazu, dass das acht mal so teuer wird und wer das bezahlen soll“. Fuchs sagte, die Ost-Süd-Trasse nach Bayern werde dringend gebraucht, aber es seien ausgerechnet die Grünen, die sich ausdrücklich gegen den Bau dieser Leitung ausgesprochen hätten: „Das ist scheinheilig.“ Die Grünen seien die größten Verhinderer des Netzausbaus. Wer gegen diese Thüringer Strombrücke sei, müsse wissen, dass das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld dann länger laufen müsse. Die Grünen seien auch gegen Pumpspeicherkraftwerke, die zur Stabilisierung des Systems dringend notwendig seien. Joachim Pfeiffer (CDU) sagte, die Erdverkabelung sei weder technisch ausgereift noch erhöhe sie die Akzeptanz. Es sei bis heute kein Erdkabel verlegt worden.

 

Den gegen die Grünen erhobenen Blockade-Vorwurf wies Dieter Janecek (Grüne) zurück. Es sei die CSU, die vor Ort blockiere und eine „Energiewende auf Basis von heißer Luft betreibe“. In Wirklichkeit wolle die CSU zurück zur Atomenergie und sei der „Totengräber der Energiewende“.

 

„In Bayern regiert das energiepolitische Chaos“, sagte Eva Bulling-Schröter (Die Linke). Die CSU, die die Atomkraft immer unterstützt habe, habe keinen Plan für eine zukunftsfähige Energieversorgung in Bayern und wolle die Energiewende an die Wand fahren lassen. Nach Ansicht von Ralph Lenkert (Die Linke) ist der geplante Netzausbau tatsächlich überzogen. Statt dessen müsse es eine mehr dezentrale Energieversorgung geben.

 

Für die Bundesregierung erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Uwe Beckmeyer (SPD), „das Moratorium hat rechtlich keine Wirkung“. Die geplanten Maßnahmen würden auf realistischen Bedarfsberechnungen beruhen. Es gebe keinen Grund, diese in Frage zu stellen. Die Zeit dränge. „Wir sind mit dem Netzausbau hinterher“, sagte Beckmeyer, der außerdem feststellte: „Das Gesetz gilt.“

 

Hubertus Heil (SPD) erklärte, es gehe wohl auch um die Frage, wie es um die Akzeptanz von Infrastruktur in diesem Land bestellt sei. Es sei geradezu fahrlässig, diese Akzeptanz für notwendige Infrastrukturen, zumal für solche, die zum Gelingen der Energiewende beitragen, in Frage zu stellen. Karl Holmeier (CSU) appellierte dagegen, die Vorlage der EEG-Novelle abzuwarten. Eine verantwortungsvolle Politik heiße, auf Veränderungen neu zu reagieren.

 

Allerdings sind die von Seehofer und der Staatsregierung geäußerten Bedenken nicht ganz neu. Bereits in der Anhörung des Bundestages zum Zweiten Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze (17/12638) am 15. April 2013 hatte sich Professor Lorenz Jarass (Hochschule Rhein-Main Wiesbaden) mit deutlicher Kritik zu Wort gemeldet. Er bezeichnete die Netzausbauplanungen als „einseitig von den Interessen der Stromerzeuger geprägt“. Der geplante weit überdimensionierte Netzausbau bedrohe die gesellschaftliche Akzeptanz des weiteren Ausbaus erneuerbarer Energien und damit die Energiewende insgesamt. Als Grund für den überdimensionierten Ausbau der Netze nannte er die Interessen der Kohlekraftwerksbetreiber, Strom auch bei Starkwind ins Ausland exportieren zu können. Die Verbraucherzentrale Bundesverband zweifelte ebenfalls den Umfang der geplanten Netzausbaumaßnahmen an und gab in ihrer Stellungnahme den Hinweis auf Alternativen bei der Erreichung der Ausbauziele für die erneuerbaren Energien, die möglicherweise „einen geringeren, zumindest aber einen zeitlich gestreckten Netzausbau möglich machen“.

 

Auch die Erdverkabelung ist aus Sicht der Experten höchst problematisch. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatte gefordert, bevor über eine Ausweitung der Erdverkabelung im Bereich der Leitungen im Bereich von 380-Kilovolt (kV) entschieden werde, sollten zunächst die Erfahrungen mit den vier Pilotstrecken abgewartet werden. „Neben deutlich höheren Kosten birgt die Teil-Erdverkabelung Risiken, die die Versorgungssicherheit beeinträchtigen könnten“, warnte der BDEW. Die Bundesnetzagentur stellte fest: „Die Erdverkabelung muss zunächst durch Pilotvorhaben erprobt werden.“ Belastbare Erkenntnisse und Erfahrungen mit einer Erdverkabelung auf der Höchstspannungsebene lägen noch nicht vor. Auch Professor Albert Moser (RWTH Aachen University) riet dazu, Erdkabel angesichts der hohen Bedeutung eines zuverlässigen und sicheren Übertragungsnetzes erst zu erproben. Aus technischer und wirtschaftlicher Sicht seien Freileitungen beim Übertragungsnetzausbau grundsätzlich zu bevorzugen.